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Beitrag vom 30.03.2017
Ghost In The Shell. Kinostart: 31. März 2017
Lisa Baurmann
Die Neuverfilmung des Science-Fiction-Klassikers wartet mit fulminanten Bildern und viel Action auf. Während Scarlett Johansson und Juliette Binoche als menschliche Maschine und deren Erschafferin darin brillieren, schafft die Hollywood-Produktion leider wenig Atmosphäre...
... und einen in Teilen nur lückenhaften Plot.
Identität zwischen Mensch und Maschine
Major alias Matoko Kusanagi ist nicht ganz Mensch, nicht ganz Maschine. Sie lebt in einer Zukunft, in der intelligente Roboter am Fließband produziert und Menschen mit kybernetischen Komponenten ausgerüstet werden. Sie ist Teil der Spezialeinheit Sektion 9, die unter diesen Voraussetzungen rasant zunehmenden Cyber-Terrorismus bekämpft. Dabei ist sie mit Fragen konfrontiert, die nicht nur den ethischen Umgang mit künstlichen Intelligenzen und persönlichen Daten betreffen, sondern auch ihre eigene Identität.
Vielen Zuschauerinnen ist Majors Geschichte bekannt aus Mamoru Oshiis "Ghost In The Shell" aus dem Jahre 1995, der bis heute einer der sowohl in Japan als auch international beliebtesten Animes ist. Mit seiner düsteren Ästhetik und einer Story, die Fragen nach persönlicher Identität zwischen Mensch und Maschine stellt, schrieb er Filmgeschichte. Weniger bekannt ist Masamune Shirows Mangaserie, auf der Oshiis Version basiert, sowie diverse weitere Animeproduktionen in Serien- und Spielfilmformat. Regisseur Rupert Sanders ("Snow White And The Huntsman") hat nun den ersten Spielfilm auf der Basis dieses umfangreichen Materials erschaffen. Mit einem internationalen Cast und Scarlett Johansson in der Hauptrolle war sein erklärtes Ziel, dem Original nicht nur gerecht zu werden, sondern über es hinaus zu wachsen.
Spezialeffekte statt Atmosphäre
Ob Sanders dies gelungen ist, bleibt zumindest fraglich. Einerseits werden die visuellen Anleihen, die er an Oshiis Anime nimmt, von Beginn an deutlich, und einige ikonische Szenen sind originalgetreu umgesetzt worden. Andererseits gibt er der Figur Major eine neue Geschichte, in der nur wenige einzelne Elemente und Charaktere aus der Vorlage übernommen wurden. Auch die Erzählweise unterscheidet sich deutlich vom Anime, der seine beklemmende Stimmung vor allem aus einem sehr ruhigen Erzähltempo zieht. Sanders passt das Tempo offenbar einem Publikum an, das keine nachdenkliche Erzählung, sondern einen modernen Actionfilm erwartet. Er versucht stattdessen, Atmosphäre mit einem durchaus beeindruckenden Produktionsdesign zu schaffen, was letztlich aber nicht gelingt, weil choreographierte Kampfszenen, Spezialeffekte und Einzeiler-Dialoge zuviel Raum einnehmen.
Ãœbereiltes Happy End
In der nun neu interpretierten Geschichte wird Major auf die Suche nach ihrer wahren Herkunft vor der Transplantation ihres menschlichen Gehirns in ihren mechanischen Körper geschickt. Zwar wird – nicht zuletzt durch das überzeugende Spiel von Scarlett Johansson – Majors Identitätskrise deutlich, die sie zur Suche nach ihren verlorenen Erinnerungen veranlasst. Als sie erste Bruchstücke ihrer Vergangenheit rekonstruiert hat, löst sich die Krise aber plötzlich auf. Ihr Wissensdurst nach ihrem früheren Leben scheint gestillt, obwohl für die Zuschauerin einige Fragen offen bleiben, und sie kehrt zu Sektion 9 zurück. Die abrupte Wendung macht Majors Motivation unverständlich und hinterlässt den Eindruck, dass zugunsten eines schnellen Happy Ends mögliche – und nötige – Konflikte einfach beiseite gelassen werden. Auch an anderen Stellen scheint der Plot oberflächlich und nicht zuende gedacht.
Selbstbestimmung in der Datenwelt
Obwohl die Handlung des Films insgesamt nicht überzeugt, gibt es doch interessante Ansätze. Der Subplot zwischen Major und Dr. Ouelet entwickelt etwa eine spannungsvolle Dynamik. Die Wissenschaftlerin und Erschafferin Majors ist – in Umkehr der bis heute geltenden Geschlechterverteilung in Hollywood – eine Frau, die für die korrupte Firma Hanka arbeitet und Majors menschliches Gehirn in ihren mechanischen Körper transplantierte.
Wie sich später offenbart, hegte Dr. Ouelet von Anfang an ethische Zweifel gegenüber dem Projekt, ist aber an Weisungen des skrupellosen Firmenchefs gebunden und verteidigt Major als ihr bedeutendstes Werk. Als sie Major unter Einsatz ihres eigenen Lebens vor der Abschaltung und damit vor dem Tod rettet, lässt sich das allerdings nicht nur damit erklären, dass sie an ihrer eigenen Kreation hängt. Stattdessen, so scheint es, opfert sie sich auch aus echter Solidarität und Respekt vor Majors Selbstbestimmung. Dr. Ouelet wird dabei herausragend gespielt von Oscar-Preisträgerin Juliette Binoche, während Scarlett Johansson mit ihrer stolzen und dabei verletzlichen Darstellung Majors beeindruckt. Die Beziehung zwischen beiden Charakteren wird so zu einer der wenigen vielschichtigen und überzeugenden im Film.
Weibliche Figuren im Hintergrund
Den weiteren weiblichen Figuren wird im Film leider nur wenig Raum gegeben. Dabei überzeugt Berlinale-Preisträgerin Anamaria Marinca schon in ihrem kurzen Auftritt als Dr. Dahlin, die ebenfalls mit Robotertechnik betraut ist. Die Wissenschaftlerin überbringt rauchend, unerschrocken und ernst ihre Analysen (eingefleischte Fans des Franchise werden in ihr eine Figur des Anime-Sequels von 2004 erkennen). Auch das Spielfilmdebut der Londoner Jazz-Sängerin und Schauspielerin Danusia Samal als Ladriya, die neben Major das einzige weibliche Mitglied des Teams von Sektion 9 ist, macht neugierig auf Geschichte und Motivation der Figur, obwohl ihr nur wenige Zeilen Dialog eingeräumt werden. Kaori Momoi, die dem deutschen Publikum spätestens aus Doris Dörries "Grüße aus Fukushima" bekannt sein dürfte, lässt als Majors Mutter in der kurzen Szene, in der beide sich begegnen, ihr schauspielerisches Können durchblicken.
AVIVA-Fazit: "Ghost In The Shell" ist vor Allem eines: Ein Actionfilm. Überzeugende schauspielerische Leistung, beeindruckende Spezialeffekte und ein aufwendiges Produktionsdesign wird ein Publikum, das nicht mehr erwartet, für sich gewinnen. Wer sich allerdings Größeres erhofft, wird enttäuscht werden, da hinter Kampfszenen und Computergrafik Handlung und Atmosphäre zurücktreten.
Zu den Schauspielerinnen: Scarlett Johansson gehört aktuell zu den gefragtesten Schauspielerinnen in Hollywood. Als weibliche Hauptrolle neben Bill Murray in Sofia Coppolas "Lost In Translation", für die sie einen BAFTA gewann, gelang ihr 2003 der Durchbruch. Seitdem spielte sie in zahlreichen sehr erfolgreichen Produktionen. Unter anderem arbeitete sie intensiv mit Regisseur Woody Allen zusammen, in "Scoop" "Match Point" sowie "Vicky Cristina Barcelona". Seit einigen Jahren ist sie vermehrt im Action- und Science Fiction-Bereich zu sehen, darunter als Black Widow in "Avengers: Age of Ultron", als die übermenschliche Fähigkeiten entwickelnde "Lucy" in Luc Bessons gleichnamigem Film, als die Stimme des intelligenten Computerbetriebssystems Samantha in Spike Jonzes "Her", und als ein mysteriöses Wesen in menschlicher Gestalt in Jonathan Glazers "Under the Skin".
Neben ihrer Filmkarriere betätigt sie sich erfolgreich in Musical-Produktionen, wofür sie 2010 bereits einen Tony gewann, und als Sängerin, sowohl auf einer eigenen Album- Veröffentlichung, als auch in Kollaboration mit anderen Musiker_innen.
Für "Ghost In The Shell" hat sie sich über ein Jahr lang auf die Rolle Majors vorbereitet, um die anspruchsvollen Kampfszenen zu meistern.
Mehr Infos unter: www.imdb.com
Juliette Binoche, in Paris geboren, begann ihre Karriere als Schauspielerin vor über dreißig Jahren und spielte seitdem in zahlreichen französischen und internationalen Produktionen. Die meisten Auszeichnungen erhielt Binoche für ihre Rolle der Hana in Anthony Minghellas "Der englische Patient" von 1996, für die sie einen Oscar, BAFTA, Silbernen Bären und Europäischen Filmpreis gewann. Letzteren gewann sie weitere zwei Mal für ihre Rollen in "Die Liebenden von Point-Neuf" und "Chocolat". Für ihr Spiel in Michael Hanekes preisgekröntem "Caché" wurde sie erneut als beste Darstellerin nominiert. Die Schauspielerin schreckt nicht vor Themen von politischer und gesellschaftlicher Relevanz zurück, wovon ihre Hauptrollen in Amos Gitais "Trennung" sowie in Malgoska Szumowskas "Das Bessere Leben" zeugen: Ersterer thematisiert den Israel-Gaza-Konflikt, letzterer Studentinnen, die als Sexarbeiterinnen Geld verdienen. Ihre Rolle als Maria Enders in Olivier Assayas "Die Wolken von Sils Maria", mit der Binoche zuletzt internationale Aufmerksamkeit erlangte, enthält Elemente ihrer eigenen Biographie.
Mehr Infos unter: www.imdb.com
Anamaria Marinca stammt aus einer rumänischen Künstler_innenfamilie. Für ihre Rolle im zweiteiligen Fernsehfilm "Sex Traffic", der europäischen Menschenhandel im Zusammenhang mit Zwangsprostitution thematisiert, erhielt sie einen BAFTA sowie eine Goldene Nymphe. Um körperliche Selbstbestimmung geht es auch in "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage", in dem eine Studentin im Rumänien der Achtzigerjahre einen illegalen Schwangerschaftsabbruch durchführen lässt. Marinca erhielt für ihre Rolle der Otilia den Preis der besten Darstellerin des Stockholm Film Festivals.
Mehr Infos unter: www.imdb.com
Zum Regisseur: Rupert Sanders hatte 2012 sein Spielfilm-Debut mit "Snow White and the Huntsman", eine düstere und aufwendig produzierte Adaption des Märchens Schneewittchen, die für zwei Oscars nominiert wurde. Drei Jahre lang arbeitete er daran, "Ghost In the Shell" als Spielfilm umzusetzen. Dabei bemühte er sich um einen internationalen Cast und engen Kontakt zu Shirow Masamune, Autor des Mangas, und Mamoru Oshii, Regisseur der ersten Anime-Verfilmung.
Ghost In The Shell
USA 2017
Regie: Rupert Sanders
Darsteller_innen: Scarlett Johansson, Pilou Asbæk, Takeshi Kitano, Juliette Binoche, Michael Pitt, Chin Han, Anamaria Marinca, Danusia Samal, Kaori Momoi, u.a.
Länge: 106 Minuten
Kinostart: 30.03.2017
Website mit Trailer: www.ghostintheshell-film.de
Facebook: www.facebook.com/GhostintheShellDE
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